Über Archive vom Globalen Süden her gedacht. Stolen Moments – Namibian Music History Untold

Vortrag von Aino Moongo, 4. Juni, 14 – 14:30 Uhr

Das Projekt Stolen Moments wurde 2010 von Baby Doeseb, Thorsten Schuette und Aino Moongo in Windhoek, Namibia, etabliert. Das Projekt untersuchte Namibias Geschichte der Popularmusik von den 50er bis Ende der 80er Jahre, und entdeckte, dass über die Popularmusik im Land während der Jahre der Apartheid sehr wenig bekannt war. Alles begann mit der Suche nach einem einzigartigen Lied, das Fragen aufwarf, aber worüber wenig Informationen zur Verfügung standen, obwohl es aus einer Musikbibliothek des öffentlich-rechtlichen Rundfunks stammte. Durch eine öffentliche Umfrage, die regelmäßig über einen Zeitraum von sechs Monaten mit Unterstützung der lokalen Zeitungen und einer massiven Resonanz in der Öffentlichkeit durchgeführt wurde, wurde deutlich, dass diejenigen, die die Geheimnisse der Vergangenheit erschließen konnten, noch am Leben waren. Dies machte es unerlässlich, ihre Geschichten festzuhalten, bevor dieser Teil der Vergangenheit verschwinden würde. Die Größe der gewonnenen komplexen und multiplizierten unterschiedlichen Informationen führten zu einer bis heute aktiven Forschung. Die Vertiefung der Materialien in Kombination mit dem Fund von Tausenden unveröffentlichten Liedern warf die Frage auf, warum und wie ein riesiges kulturelles Erbe der jüngsten Vergangenheit in Vergessenheit geraten konnte. Anfangs konzentrierte sich das Team von Stolen Moments nur auf die Musik, die weitgehend unbekannt und ungehört war. Der Prozess aber führte zu der Erkenntnis, dass die Forschung breiter angelegt werden musste, und mündliche Geschichte, visuelle Darstellung physischer Räume, Dokumentation physischer Körperbewegungen und die Verwendung von archivierten Materialien wie Fotografie, Zeitungsausschnitte und natürlich der Musik, mit einbezogen werden sollten.

Um die meisten oben genannten analogen Befunde zugänglich zu machen, musste eine digitale Übertragung organisiert werden. Es entstanden mehrere Projekte parallel, wie z.B. das music digitalization project beim öffentlich-rechtlichen Sender, das Ausrüstung und Ausbildung beinhaltete. Das Projekt Times Reframed umfasst die Digitalisierung von Zeitungsartikeln, die für die Aufdeckung trivialer, sozialer und politischer Debatten der damaligen Zeit relevant sind. The Dance Me This -Projekt dient der Dokumentation von Tanz.

Doch der akademische Rahmen, die Sortierung und Definitionen würden den Geist und die Lebendigkeit aus den Materialien herausschlagen, wenn sie „chronologisiert“ oder vollständig erklärt würden (gar unmöglich). Sie würden ihre Agilität und Fluidität, ihre Zurückhaltung und ihre Widersprüchlichkeiten verlieren. Schließlich ist unsere Forschung eine lebendige umfangreiche Arbeit, dessen Ergebnisse unvollständig sind und die Informationen begrenzt. Der Besucher soll die sichtbaren Brüche, Lücken, Unwissenheit und offenen Fragen erleben und gleichzeitig inkongruent neu lernen. Auf diese Weise lockt die Ausstellung den Besucher sich mit dem Material zu befassen, samt Überraschungen und Irritationen, und wagt es, durch die Erinnerungen in die Vergangenheit Namibias zu reisen.


Aino Moongo ist Masterstudentin im Studiengang „Kunst und Kuratieren“ an der Bayreuth University. Sie ist eine von drei Gründungsmitgliedern der Stolen Moments Research Group. Aino ist derzeit als studentische Hilfskraft im Iwalewahaus, eine akademische Kunstinstitution der Bayreuth University, beschäftigt, wo sie die Ausstellung ihres Projekts Stolen Moments, Namibian Music History -Untold, 2016 gestartet, co-kuratierte. Aino reiste mit der Ausstellung 2017 nach Basel, 2018 nach Berlin und wird sie im Juli 2019 nach London begleiten. Zudem arbeitete sie 2018 als studentische Kuratorin für die Ausstellung Future Africa – Visions in Time (FAVT), Windhoek Namibia – ein Projekt des Iwalewahauses, der Bayreuth Academy of Advanced African Studies in Partnerschaft mit dem Goethe Institut. Im selben Jahr forschte Aino als studentische Assistentin für das Institute of African Studies (IAS) der Bayreuth University im Bereich Kreativwirtschaft in Namibia. Sie war als Projektassistentin bei der Ausstellung 2017 Spaces – Perception. Reflexion. In-ter-vention, im Iwalewahaus tätig. Aino erwarb ihren Bachelor-Abschluss in Kommunikation in Namibia durch ein Teilzeitstudium an der Polytechnischen Hochschule, heute bekannt als Namibia University of Science and Technology. In ihrer Freizeit, zwischen Vollzeitbeschäftigung und Teilzeitstudium, arbeitet Aino auch als Filmproduktionsassistentin, als Kommunikationsbeauftragte für das Wild Cinema International Film Festival, als Front of House Manager für das Warehouse Theatre in Windhoek, und als Jury-Assistentin, später als Jury-Mitglied, für den Namibian Film and Theatre Awards.