Collections as Commons. Öffentliche Sammlungen im Zeitalter digitaler Privatisierung

Vortrag von Prof. Dr. Nora Sternfeld, 4. Juni, 10 – 11 Uhr

Aus radikaldemokratischer Perspektive schlage ich vor, Sammlung als Handlungsort für eine institutionskritische, reflexive Praxis zu verstehen. Sie gibt Anlass für Provenienzforschung, Restitution, Repatriierung, für die Analyse hegemonialer Diskurse und ihrer Veränderung sowie für die Konfrontation mit den machtvollen Wissensformationen, aber auch mit den Zufällen des Alltags, die ebenfalls in die Frage danach hineinspielen, was gesammelt wird. Dabei reicht es allerdings nicht, mit den Lücken zu arbeiten. Es geht auch darum, sich darin und dazu zu positionieren und daran zu arbeiten, welche Verantwortung mit der Geschichte der epistemischen Gewalt verbunden ist. 2015 initiierte das V&A die Sammlungsintervention „All of this belongs to you“, um einer breiten Öffentlichkeit Möglichkeiten aber auch Grenzen der Mitbestimmung in einer britischen „Nationalsammlung“ bewusst zu machen. Vor dem Hintergrund einer postkolonialen Kritik klingt der Titel der Ausstellung unheimlich. Wer ist dieses YOU? Die Antwort auf die Frage, wem das öffentliche Museum und seine Sammlungen gehören, scheint also ebenso klar wie umkämpft und erst zu erringen. Und genau auf diese umkämpfte Öffentlichkeit gilt es aus der Perspektive des radikaldemokratischen Museums zu bestehen. Wollen Institutionen dieser Tatsache gerecht werden, müssten sie sich eigentlich in andere Richtungen entwickeln als sie es derzeit tun – denn wir haben es mit vielen mehr oder weniger versteckten Privatisierungstendenzen, einem heimlichen Ausverkauf des öffentlichen und allgemeinen Eigentums, zu tun. In diesem Sinne plädiere ich für dafür die Digitalisierung als Veröffentlichung eines „Wissen als Commons“ zu verstehen und auf Digitalisierung als museumspraktische Notwendigkeit und nicht mehr wegzudenkende Teilleistung von Museumsarbeit im 21. Jahrhundert bestehen. Denn nur so kann und wird eine öffentliche Sammlung in einem Open Source-Museum allen zugute kommen. Das Museum Reina Sofia in Madrid organisierte ebenfalls 2015 eine Tagung mit dem Titel “Archives of the commons”. Dabei stellten sich Fragen nach einer Demokratisierung von Institutionen, die Erinnerung und verwalten, weitergeben und produzieren. Für Museen bedeutet das eine strukturelle Veränderung, eine Neudefinition der Übernahme und Abgabe von Verantwortung. Ganz in diesem Sinne spricht der Künstler Daniel G. Andujar, ein zentraler Referent der Tagung von „Democratizing democracy by tracking the code“.


Nora Sternfeld ist documenta-Professorin an der Kunsthochschule Kassel. Von 2012 bis 2018 war sie Professorin für Curating and Mediating Art an der Aalto University in Helsinki. Darüber hinaus ist sie Koleiterin des /ecm-Masterlehrgangs für Ausstellungstheorie und -praxis an der Universität für angewandte Kunst Wien, Teilhaberin von Büro trafo.K (Wien) und seit 2011 Teil von freethought (London). In diesem Zusammenhang war sie auch eine der künstlerischen LeiterInnen der Bergen Assembly 2016. Sie lehrte an internationalen Universitäten und publiziert zu zeitgenössischer Kunst, Ausstellungen, Geschichtspolitik und Bildungstheorie.